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Losgröße Eins

Daten und Analysen

Industrie 4.0 bedeutet Individualisierung. Kundenspezifische Produkte anzubieten und dabei die vorteilhaften Herstellkosten einer Massenfertigung nicht zu überschreiten, fordert das Produktmanagement in besonderem Maße heraus. Im Interview mit Rainer Janz, Produktmanager bei der Hermann Bantleon GmbH, kam diese Herausforderung bereits zum Ausdruck. Ebenso offenkundig ist der Nutzen für die Wettbewerbsfähigkeit:

Dann sind wir nicht mehr in der Preisdiskussion, sondern es geht um Partnerschaft.“

Doch wie kann diese Quadratur des Kreises gelingen? Besteht nicht vielmehr die Gefahr, dass bei zunehmender Individualisierung Aufwand und Kosten außer Kontrolle geraten? Wenn bei gewachsenem Produktportfolio und bei traditionellen Strukturen und Abläufen bereits das Variantenmanagement Schwierigkeiten bereitet, bedeutet dann nicht „Losgröße 1“, dass Unternehmen ohne digitales Geschäftsmodell nicht mehr profitabel produzieren können?

Treten wir einen Schritt zurück und denken über diese Frage mit einer ganzheitlichen Effizienzbetrachtung nach – aus der Perspektive der Ressourcenproduktivität folgen zwei grundsätzliche Überlegungen:

  • Individualisierung ist nicht gleichbedeutend mit Exzellenz. Falls es zutrifft, dass gerade deutsche Unternehmen zum Over-engineering neigen, käme eine Reduzierung des Nutzens von 110% auf 80% in Frage? Wäre also eine „Good-enough-Strategie“ (Biesalski & Co) denkbar, die mit kundenspezifischen Produkten im volumenstarken mittleren Preissegment den Marktanteil deutlich steigert? Ein Beispiel aus dem Sektor Fensterbau: hier steht der hochwertige Einfamilienhausbau mit Hightech-Lösungen und optimierten Dämmwerten dem größeren Markt der Gebäudesanierung im sozialen Wohnungsbau, durchaus mit individuellen Farben und passgenauer Anfertigung, gegenüber – der volkswirtschaftliche Nutzen im letzteren Fall dürfte sogar höher sein.
  • Weniger Verschwendung setzt Potenziale frei. Aufwand und Kosten werden nicht allein durch das an den Kunden ausgelieferte Produkt verursacht: vielmehr erreichen erhebliche Anteile der eingesetzten Ressourcen nie den Kunden. Selbst wenn Ausschuss rezykliert wird, bedeutet dies zu viel Einkauf von Material und Energie, je nach Fertigungstiefe auch hochwertiger Vorprodukte. Zudem geht die innerbetriebliche Wertschöpfung verloren. Hinzu kommen das Handling von Abfällen und ggf. eine beschönigende Öffentlichkeitsarbeit als nicht wertschöpfende Aufwände. Ein Beispiel aus dem metallverarbeitenden Gewerbe: hier lohnen sich mitunter aufwändigere Konstruktionen oder Produktionsprozesse, wenn auf diese Weise Verschnitt und Ausschuss reduziert werden können. Die Kostenstruktur weist in eine deutliche Richtung: so beträgt im verarbeitenden Gewerbe der Materialkostenanteil über 40%, der Personalkostenanteil hingegen unter 20% (VDI ZRE).

Beide Überlegungen – Nutzen und Aufwand – können neue Impulse geben. Auffallend ist, dass beide eine intensive innerbetriebliche Kommunikation und die Abwägung verschiedener Interessen und Zielkonflikte bedingen. Diese interdisziplinäre Aufgabe kann eigentlich nur dem jeweiligen Produktmanager zukommen, der in umfassender Kenntnis der Kundenanforderungen den intensiven Dialog mit allen Unternehmensbereichen – von Entwicklung und Konstruktion über Einkauf und Fertigung bis hin zu Marketing und Vertrieb – moderiert.

Um diesem Dialog eine gemeinsame und transparente Grundlage zu bieten, bedarf es einer übersichtlicheren Darstellung der Ressourcenproduktivität über das gesamte Produktportfolio einerseits und über die Produktion einschließlich Lieferkette andererseits. Insofern ist es bedauerlich, dass die Ökobilanzierung (LCA nach ISO 14040/44) als zu aufwändig und als Domäne von Spezialisten gilt. Sie sollte nun dringend ihre Rolle als betriebliches Planungsinstrument in eben diesem Kontext von Industrie 4.0 einnehmen. Mit Initiativen wie der Bereitstellung kostenloser Software für die Materialflusskostenrechnung (MFCA nach ISO 14051) in Baden-Württemberg lässt sich das fördern. Zu begrüßen ist ebenso, dass Controller sich unter dem Schlagwort „Green Controlling“ (ICV) der Bereitstellung von Kennzahlen zur Ressourcenproduktivität widmen.

Denn Software und Berater sind bestenfalls Katalysatoren in diesem Prozess: Ressourcenproduktivität ist nichts anderes als ein Maß für die Fitness eines Unternehmens. Und ich bin überzeugt, dass der entscheidende Erfolgsfaktor die neue Qualität des Miteinanders im Unternehmen ist. Rainer Janz sprach von Partnerschaft und meinte das Kundenverhältnis. Das gilt auch intern: bei Losgröße 1 werden „Arbeitnehmer“ zu „Lösungspartnern“.

Bild: Fotolia

/* Original-Code Post Header Metadata
Datum: Jul 28Autor: Ivo Mersiowsky
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