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Lernen als limitierender Erfolgsfaktor

Lernen als limitierender Erfolgsfaktor

Heute hat Ernst & Young in Tübingen vor Vertretern der BioRegio STERN den Deutschen Biotechnologie-Report 2016 vorgestellt. In dem mit „Im Schatten von Leuchttürmen“ (Quelle: www.de.ey.com/lifesciences) betitelten Bericht wird ein zwiespältiges Bild gezeichnet. Zum einen habe der Biotech-Sektor Momentum verpasst oder zumindest nur unzureichend genutzt. Zum anderen gehen von einigen wenigen Leuchtturm-Unternehmen positive und durchaus vorbildliche Signale aus über Innovation, Gründung, Finanzierung und Markteintritt.

Eine wesentliche Erkenntnis der Analyse lautet, dass der hiesige Biotech-Sektor hinter seinem aus Wissenschaft und Forschung entspringenden Potenzial zurückbleibt, was die Kommerzialisierung anbetrifft – ganz anders als sein US-amerikanisches Pendant. Die EY-Analysten werfen die provokante Frage auf, ob wir nicht sogar verpflichtet seien, „das deutlich stärkere Potenzial der Lebenswissenschaften viel breiter zum Leuchten zu bringen – aus wirtschaftlicher Sicht für eine starke Life-Sciences-Industrie, aus volkswirtschaftlicher Sicht für einen angemessenen Return aus den enormen Innovationsinvestments im Forschungsbereich und nicht zuletzt auch aus ethischer Sicht in der Verantwortung für Patienten oder die Umwelt“ (aus dem Vorwort von Dr. Siegfried Bialojan). Diese Überlegung finde ich in zweierlei Hinsicht aufschlussreich.

Zum einen stellt sie einen Zusammenhang her zwischen erstens Geist und Kultur des Entrepreneurships, zweitens der Professionalisierung und Kommerzialisierung von innovativen Geschäftsideen und drittens der notwendigen Finanzierung durch Venture Capital und Börsengang. Der Vergleich mit dem US-amerikanischen Biotech-Sektor zeigt: nicht nur die Risikobereitschaft und die Orientierung auf Investoren sind dort stärker ausgeprägt. Auch bei der effizienten und professionellen Übersetzung von akademischen Konzepten in kommerzielle Entwicklungsprogramme haben wir hierzulande Nachholbedarf. EY stellt diese Unterschiede zunächst wertfrei nebeneinander. Doch aus der oben zitierten Frage von Herrn Bialojan sprechen meines Erachtens auch eine gewisse Unzufriedenheit, ja sogar eine Sehnsucht nach mehr. Ausgesprochen interessant ist, dass u.a. ein ethischer Impuls, nämlich gesellschaftliche Verantwortung, diese Frage motiviert.

Zum anderen bin ich überzeugt, dass die beschriebene Problematik auf andere Hightech-Bereiche grundsätzlich ebenso zutrifft. Wir beschwören das Land der Ideen, sind zu Recht stolz auf Wissenschaft und Forschung. Doch Gründergeist, Wagniskultur und Professionalität im Management eines Hightech-Start-ups setzen offenbar dem Potenzial hierzulande engere Grenzen. Zumal US-amerikanische Vorbilder für Professionalisierung und Kommerzialisierung indes nicht nur Vorteile aufweisen, sondern auch durchaus bedenkenswerte Kritik auf sich ziehen, ist ein unreflektiertes Übernehmen sicherlich nicht angezeigt. Doch ein verändertes Mindset ist nicht mehr nur Geschmackssache, wenn Produkte gesellschaftliche Bedürfnisse, beispielsweise nach Gesundheit und Sicherheit, erfüllen sollen.

Der Bedarf an MINT-Fachkräften zeigt: wir brauchen Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker, um überhaupt gesellschaftlich wichtige Lösungen zu entwickeln. Wenn aber gleichzeitig die Einschätzung zutrifft, dass viele MINT-Fachkräfte in Führung und Management eines Hightech-Start-ups nicht die bestmögliche Leistungsfähigkeit aufweisen – wenn wir im Hinblick auf die zügige Marktreife und die dafür notwendige Organisationsentwicklung mehr wollen –, dann bleibt uns nur folgende Entscheidung.

Entweder sie müssen es lernen – und damit meine ich mehr als nur eine Kombination aus MINT- und Management-Studium, ich meine schnelles Lernen in und aus der beruflichen Praxis. Im Industriegüterbereich übernehmen oft Produktmanager diese hybride Rolle: Technik, Marketing und Kommunikation vereint in einer Führungskraft. Oder wir schaffen ein hybrides Management, bei dem MINT-Fachkräfte und professionalisierte Führungskräfte noch viel enger zusammenarbeiten, als es bislang der Fall war: ein bereichsübergreifendes Miteinander, eine Co-evolution, bei der geteilte Werte und gemeinsame Denkmodelle das Fundament darstellen.

Beide Wege sind herausfordernd, bedingen Lernen und ergänzen einander. Doch der Appell von Siegfried Bialojan zeigt mir: in vitalen Wirtschaftsbereichen gebietet unsere gesellschaftliche Verantwortung, dass wir uns endlich auf den Weg machen.

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Datum: Apr 13Autor: Ivo Mersiowsky
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