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Bei Komplexität und schnellem Wandel helfen Expertise und Erfahrung nicht so sehr: sonst wäre es nicht VUCA ...

Zeit der Pioniere

Zeit der Pioniere

Laut einer aktuellen Studie von McKinsey (www.mckinsey.de/industrie40) ist nur etwa die Hälfte der deutschen Unternehmen gut für Industrie 4.0 aufgestellt – den Nachzüglern fehlt vor allem eine Strategie. Das klingt fast so, als bräuchte man nur die richtige Strategie, den richtigen Prozess, um auf der Gewinnerseite zu stehen. Aber wir ahnen bereits, dass es so einfach nicht ist. Auch McKinsey kommt zu dem Ergebnis: nicht zuletzt mangelt es an Mut zu Veränderungen.

Von Tankern und Tsunamis

Ähnliche Zahlen galten in der Vergangenheit nämlich auch für andere Trends, wie beispielsweise Nachhaltigkeit. Ihnen gemeinsam ist, dass sie VUCA-Herausforderungen darstellen. VUCA? Volatile, uncertain, complex, ambiguous – die Marktsignale sind also unstet, ungewiss, vielschichtig und mehrdeutig. Wir blicken sozusagen aufs Meer hinaus und fragen uns, ob wir die nächste Welle reiten können – oder von einem Tsunami überrollt werden. Vielleicht sehen wir uns auch unser Schiff an und stellen fest, dass der marode Tanker viel zu schwerfällig ist: entweder wir überstehen die Welle unbeschadet oder wir kentern – aber vorankommen werden wir nicht.

Gerade jüngere Produktmanager werden die Chancen eines Trends wie Digitalisierung erkennen … und gleichzeitig Bedenken verspüren, ob ihr Unternehmen den Trend auch wirklich für sich nutzen kann. Vielleicht hat die Geschäftsleitung jüngst einen entsprechenden Vorschlag abgeschmettert? Vielleicht kam die Zusammenarbeit mit den Fachabteilungen nicht  in Gang? Oder – noch schmerzhafter – ein strategisches Vorhaben blieb erfolglos? Denn leider wiegt das Scheitern scheinbar schwerer als die gelungene Umsetzung.

Management by Moorhuhn

Wenn es gut geht, beachten wir es nicht weiter – das Hoch eines Erfolgs klingt allzu schnell ab. Eine zufriedenstellende Situation geht im Rauschen unter. Vielmehr sind es die Probleme, um die wir uns Sorgen machen müssen, nicht wahr? Unsere Wahrnehmung, unser Gehirn sind dafür gemacht, Gefahren zu erkennen. Dieser Stress reißt schon deswegen nicht ab, weil das operative Tagesgeschäft problemorientiert ist. Wie Moorhühner tauchen Probleme auf und ziehen Aufmerksamkeit auf sich – kreativ und wagemutig machen sie uns hingegen nicht.

Wenn wir in unserem Unternehmen schon einige Misserfolge verkraften mussten, wenn wir die Erfahrung gemacht haben, dass tapfere Versuche scheitern können, dann kann das unsere Haltung nachteilig beeinflussen: Das hat noch nie funktioniert, sagt unsere innere Stimme. Wenn zu viele Mitarbeiter ängstlich vermeidend anstatt wagemutig handeln, färbt sich die Organisationskultur zynisch. Über kurz oder lang wird der Tanker seeuntüchtig – und sinkt schließlich sogar ohne Welle.

VUCA + S

Hinzu kommt, dass Megatrends nicht geordnet nacheinander ablaufen. Wir können uns nicht einmal aussuchen, ob wir uns noch mit Nachhaltigkeit befassen oder schon mit Digitalisierung. Zu VUCA kommt also auch noch ein S für simultaneous hinzu. Digitalisierung muss gleichzeitig nachhaltig sein – technische Höchstleistung und gesellschaftliche Verantwortung: kein Wenn und kein Oder.

Dass unter diesen Voraussetzungen Produktmanagement mit einer defensiven Grundhaltung nicht funktionieren kann, liegt eigentlich auf der Hand. Den einäugigen Blick auf Umsatzzahlen oder gar ein Beharren auf etablierten Managementprozessen können wir uns gar nicht erlauben. Wenn ein Produkt Probleme auslöst, die dessen gesellschaftlichen Nutzen, die Nachhaltigkeit in Frage stellen, steigert das nur die operative Hektik: ein weiterer Schwarm Moorhühner. Als wir Smartphones einführten, schwebten uns Kommunikation und Unabhängigkeit vor – mit gesellschaftlichen Risiken und Nebenwirkungen wie vereinsamenden Smombies hat wohl niemand gerechnet?

Von Siedlern und Pionieren

Deshalb brauchen wir Kreativität und Wagemut im Produktmanagement. Erstaunlich ist, wie viele Unternehmen dennoch stoisch an der Defensive festhalten: das haben wir schon immer so gemacht. Bahnbrechende Innovationen können wir uns gar nicht leisten. So schlimm ist es nicht. Diese Überzeugungen mögen Siedlern im vertrauten und gut erschlossenen Terrain dienlich sein. Aber wer kalkuliert schon die Schattenkosten ständiger Rechtfertigung, wenn die Voraussetzungen von gestern längst nicht mehr gültig sind?

Doch halt – dies ist eben kein Plädoyer für Kalkulationen, Analysen und Strategien. All das hat seinen berechtigten Platz, aber vorher sollten wir den Geist des Entrepreneurship wiedererwecken. Es schlägt die Stunde der Pioniere: Wir brauchen junge Produktmanager – und erfahrene Macher sollten alles daran setzen, sie in dem anstehenden tiefgreifenden Wandel gut zu begleiten. In VUCA-Herausforderungen wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit nützen langjährige Erfahrungen weniger, als wir gemeinhin glauben. Worauf es vielmehr ankommt, ist Kreativität in Verbindung mit Sinn- und Wertorientierung; Wagemut in Verbindung mit ganzheitlicher Verantwortung. Mit erfahrenen Machern an ihrer Seite werden die Pioniere genau jenes Neuland erschließen, das den Siedlern wieder eine stabile Heimat bietet.

Wagen Sie eine kritische Selbsteinschätzung: wie tickt Ihr Unternehmen – und wie sieht gegenwärtig Ihre eigene Haltung zum Wandel aus? Die folgende Tabelle nennt vereinfachend einige Merkmale, an denen Sie eine bevorzugte Haltung erkennen können. Sprechen Sie uns an, wenn Sie als Produktmanager in Führung gehen wollen!

Typ Zeitlicher Fokus Zentrale Bedürfnisse Haltung zum Risiko Entscheidungsprinzip
Siedler Vergangenheit (Kontinuität)

  • Warum sollten wir das jetzt anders machen?
  • Nachweise
  • Loyalität
  • Hierarchie
risikoscheu Effizienz

  • Dinge richtig tun
  • Langwierige Analysen
Macher Gegenwart (Handeln)

  • Wie erreichen wir unser Ziel?
  • Ergebnisse
  • Kontrolle
  • Wettbewerb
kalkulierend Effektivität

  • Die richtigen Dinge tun
  • Schnelle Kosten-Nutzen-Analyse
Pioniere Zukunft (Visionen)

  • Wo wollen wir in fünf Jahren stehen?
  • Bedeutung
  • Einzigartigkeit
  • Freiheitsgrade
risikofreudig Ganzheitlichkeit

  • Das große Ganze verstehen
  • Lernen aus Versuch und Irrtum
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Datum: Mrz 14Autor: Ivo Mersiowsky
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