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Fitness-Check

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Produktmanagement – Agil & nachhaltig (Teil 2): Ressourcen & Kompetenzen

Was ein Unternehmen hat: Ressourcen

Nachdem der Unternehmenszweck geklärt ist, doch bevor wir die Produktstrategie festlegen, sollten wir einen Fitness-Check durchführen. Dabei hilft eine Liste der Ressourcen des Unternehmens. Doch was genau sind eigentlich Ressourcen? Rohstoffe? Energie? Geld? Maschinen? Informationssysteme? Patente? Menschen? Zeit? Ja, all das. Kurz gesagt, Ressourcen sind Grundlage der Wertschöpfung. Bemerkenswert ist: viele von ihnen sind immateriell bzw. intangibel. Ob sie für das Unternehmen im Wettbewerb wirklich relevant sind, erkennen wir mit Hilfe der VRINOC-Formel:

  • Valuable – sie sind wertvoll und nützlich;
  • Rare – sie sind selten und knapp;
  • Inimitable – sie sind unnachahmlich;
  • Non-substituable – sie sind nicht ersetzbar;
  • Organised – sie sind in Strukturen und Prozessen einsetzbar;
  • Connected – sie sind mit anderen Ressourcen verbunden.

Das letzte Merkmal in dieser Liste, die Verbundenheit, ist ein Neuzugang: Weil die Einzigartigkeit eines Unternehmens in der Kombination von Ressourcen besteht, sind isolierte Ressourcen weniger wert als vernetzte – ein deutlicher Fingerzeig in Richtung Industrie 4.0 …

Was ein Unternehmen kann: Kompetenzen

Die VRINOC-Formel liefert uns einen wichtigen Hinweis: für Rohstoffe, Energie, Geld und Maschinen gibt es Beschaffungsmärkte – der Umgang mit diesen wertvollen und knappen Ressourcen ist daher ein Teilaspekt von Nachhaltigkeit. Wenn ich bereit und in der Lage bin, den Preis zu zahlen, kann sie nachkaufen. Wenn ich Arbeiter nur als Maschinisten betrachte, kann ich auch diese kaufen. Doch genau diese Geringschätzung rächt sich in der VUCA-Welt: hier genügt der standardisierte Prozess nicht mehr, und für ein Planen in der Chefetage reicht es nicht – vielmehr sind in komplexen Situationen sofort und vor Ort Entscheidungen zu treffen.

Unnachahmlich und unersetzbar sind somit die intangiblen Ressourcen wie das Wissen und Können eingespielter Teams. Genau deswegen sollte der Begriff Human Resources eigentlich besondere Wertschätzung ausdrücken. Kompetenzen sind also eine überaus wertvolle Art von Ressourcen: die tollste digitalisierte Fabrik hilft nichts, wenn niemand sie im Interesse des Kunden bedienen kann.

Wie können wir …

  • … Kunden wirklich verstehen?
  • … Liefern, was gebraucht wird?
  • … unsere Organisation gemeinsam beleben?
  • … Menschen ehrlich begeistern?

(Brandes et al., 2014)

Dieses Können umfasst Fach-, Methoden-, Selbst-, Sozial- und Führungskompetenzen mit verschiedenen Schwerpunkten je nach Job und Situation, zusammen ergibt sich Handlungskompetenz. Während wir durch Schule und Studium ziemlich gut in der Methodenkompetenz sind, einigermaßen in der Fachkompetenz, zeigen sich ganz verallgemeinert am ehesten Schwächen in der Ausprägung von Selbst-, Sozial- und Führungskompetenz. Und ausgerechnet diese wunderbaren Ressourcen lassen sich leider kaum durch Fachseminare entwickeln als vielmehr im Job und durch das Leben an sich. Das ist ein weiterer Grund, weshalb sie so VRINOC sind.

Zusammengefasst gilt:

  1. wenn unsere Ressourcen und Kompetenzen VRINOC sind und
  2. wenn wir mit ihnen verschiedene Produkte herstellen und Dienstleistungen erbringen können, und
  3. wenn diese unseren Kunden einen möglichst hohen technischen und emotionalen Nutzenzuwachs bringen,

dann sind genau dies unsere Kernkompetenzen. Idealerweise ist ihre Kombination so VRINOC, dass wir ein Alleinstellungsmerkmal haben. Und gerade weil Menschen und Kompetenzen mehr VRINOC-Potenzial haben, liegt hier die eigentliche Herausforderung für die nachhaltige Unternehmensführung.

Kompetente Mitarbeiter in der innigen Verbundenheit eines funktionierenden Teams …, das ist die VRINOC-Ressource schlechthin. Sie ist empfindlich – wie Gesundheit und Ökosysteme braucht sie Schutz zum Aufbau von Resilienz. Und sie ist erschöpflich – wie der Wald braucht sie Hege und Pflege zum Erhalt der Regenerationsfähigkeit. Stress und Demotivation zerstören demzufolge Alleinstellungsmerkmale und Unternehmenswerte. Ein Team unter Druck wird bestenfalls schneller in der Routine, doch innovative Lösungen und besonnene Entscheidungen in der VUCA-Welt sind nicht zu erwarten. Ein Team ohne Motivation kann kompetent sein, doch leisten wird es nicht sonderlich viel.

VRINOC-Ressourcen planen?

Wenn wir an Unternehmen denken, denken wir an Planung. Der englische Begriff Enterprise Resource Planning (ERP) beschreibt genau diese unternehmerische Aufgabe. Wir wollen schließlich unsere Ressourcen wie Kapital, Personal, Betriebsmittel, Material und Informationssysteme im Sinne des Unternehmenszwecks rechtzeitig und bedarfsgerecht bereitstellen und steuern. Sie erinnern sich an das O in VRINOC?

Bisher war der betriebliche Wertschöpfungsprozess genau das: eine säuberlich aufgereihte Kette von Prozessen – ob maschinell oder händisch – mit planerisch vorgegebenen Abläufen. Doch was geschieht, wenn in der VUCA-Welt sich Markt und Umfeld in stetem Wandel befinden? Wenn sich Konsumentenbedürfnisse von einem Tag auf den anderen verändern und über Online-Shopping direkt an die Produktionsstätten (vielleicht verteilte 3D-Drucker)  weitergegeben werden? Wenn Rohstoffpreise wegen geopolitischer Instabilität stark schwanken? Wenn nach einer Energiewende regionale Stromnetze saisonal und untertägig unterschiedlich zuverlässig sind? Wenn Logistiksysteme von Verkehrsinfarkten betroffen sind? Wenn Informationssysteme Hackerangriffen zum Opfer fallen? Wenn die dringend benötigten Fachkräfte sich wegen des besseren Employer Brandings auf den Weg zum Mitbewerber machen?

Nicht nur geht die Bedeutung von Planung zurück. Demgegenüber nimmt die Notwendigkeit eines klaren Unternehmenszwecks sogar noch zu: Kurs halten im Sichtflug. Der Aufbau von dynamikrobusten, resilienten Organisationen wird vordringlich. Die Zeit der Silos ist vorüber: interdisziplinäre agile Teams übernehmen das Kommando. Man sagt Produktmanagern bereits heute nach, dass sie Kundenbedürfnisse und unternehmerische Ressourcen jonglieren müssen – diese Herausforderung wird sogar noch größer. Und Produktmanagement wird zur Schlüsselkompetenz in der VUCA-Welt.

Prozesskostenrechnung

Als Grundvoraussetzung sollte also erstens der Unternehmenszweck klar sein. Zum Fitness-Check gehört zweitens, VRINOC-Ressourcen und Kompetenzen überhaupt zu erkennen. Und erst drittens können wir daran gehen, den Fortschritt zu ermitteln. Wir kehren also zurück zur Kennzahl Produktivität als Kundennutzen pro Ressourcenaufwand.

Nehmen wir ein ganz bodenständiges Beispiel: Ein Schmierstoffhersteller hat den Unternehmenszweck, dass bei seinen Industriekunden die Maschinen reibungslos laufen. Zu den hierfür benötigten VRINOC-Ressourcen zählen Öle – allerdings können diese fossilen oder nachwachsenden Ursprungs sein, sind also wertvoll (V) und knapp (R), aber grundsätzlich durchaus substituierbar. Was hingegen unnachahmlich (I), unersetzbar (N) und verbunden (C) ist, sind die Lösungskompetenzen eines Teams aus Vertrieb und Anwendungstechnik, das beim Industriekunden für jede Fertigungseinheit je nach Werkstoff, Drehzahl und Betriebsstunden die perfekte Formulierung findet, damit es wie geschmiert läuft und nicht schäumt. Der Kundennutzen besteht in einer Stromersparnis multipliziert mit der wartungsfreien Standzeit. Der Ressourcenaufwand beinhaltet Rohstoffe, Additive, Energie für die Misch- und Abfüllanlage – und die Arbeitszeit eines kreativen Teams. Soweit ein stark vereinfachtes Beispiel für die Produktivität.

Spannend wird diese Betrachtung, wenn wir Produktivität als Messgröße zur Steuerung des Unternehmens verwenden. Der Produktmanager betreibt Variantenmanagement im Spannungsfeld zwischen Losgröße Eins und einer standardisierten, modularen Palette von Grundölen und Additivierungen. Ab welcher Verkaufsmenge lohnt sich die individuelle Formulierung? Die Prozesskostenrechnung (PKR) ist ein Modellierungsverfahren der Kostenrechnung auf der Grundlage des Activity-based Costing (ABC) nach Cooper und Kaplan (1988). Sie wird eingesetzt, um die Ressourcenintensität von Prozessen zu bestimmen (Faktorverbrauch pro Wertaktivität). Insbesondere leistet sie eine beanspruchungsgerechte Verteilung der Gemeinkosten. Doch wir haben es ja nicht nur mit monetären Ressourcen zu tun: deshalb setzen wir Activity-based Footprinting (ABF, umgesetzt im Tool EcoChain) ein. Die Methode erlaubt uns eine erweiterte Analyse, ob nun Herstellkosten, Arbeitsaufwand oder Klimarelevanz. So zeigt sich auch die tatsächliche Umweltrelevanz einer Auswahl von Grundölen.

Neben der Reduzierung des Ressourcenverbrauchs führt auch höherer Kundennutzen zu mehr Produktivität. Mit der Wertanalyse (beispielsweise nach VDI-Richtlinie 2800 und folgende) können wir feststellen, wie sich die Funktionalität bei Prozessen und Produkten steigern lässt. Indem die Bedürfnisbefriedigung im Vordergrund steht, wird Overengineering vermieden. Eine andere Additivierung könnte die Reibungswerte noch weiter optimieren. Doch genauso könnte ein smartes Fluidmanagement die Total Cost of Ownership senken, indem die Maschinenverfügbarkeit infolge Wartungsintervallen verbessert wird.

Fazit

Um Produktmanagement und Unternehmensführung agil und nachhaltig zu gestalten, müssen wir wissen, was ein Unternehmen hat und was es kann – das ist die Bestandsaufnahme im Fitness-Check. Mit der erweiterten Definition von Produktivität haben wir praktische Methoden zur Performance-Messung im Fitness-Check: mehr Kundennutzen (Wertanalyse) und weniger Ressourcenverbrauch (Activity-based Footprinting) führen zum Ziel. In der nächsten Folge schauen wir, welche Entwicklungsstufen die Fitness eines Unternehmens durchläuft.

Literatur

  • Brandes U. et al.: Management Y. Campus Verlag, 2014.
  • Cooper R., Kaplan R.S.: Measure Costs Right. Make the Right decisions. In: Harvard Business Review. September/Oktober 1988, S. 96–103.
  • EcoChain: Website https://www.ecochain.com/en/home, Zugriff am 10.02.2017.
  • VDI-Richtlinie 2800: Wertanalyse, 2010.
/* Original-Code Post Header Metadata
Datum: Feb 10Autor: Ivo Mersiowsky
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